Geschichte der Cannabis-Prohibition in Deutschland

Die Geschichte der Cannabis-Prohibition in Deutschland

Die Geschichte der Cannabis-Prohibition geht zurück bis ins Jahr 1872Die Älteren unter Euch kennen es vielleicht noch aus Erzählungen am familiären Kaffeetisch: Oma und Opa durften noch kiffen. Denn bis 1929 war der Konsum von Cannabis als Genuss- und Schmerzmittel ohne Einschränkungen erlaubt. Danach folgte die Prohibition von Cannabis, Grasrauchen war plötzlich kriminalisiert.

Eine Alkoholprohibition hingegen war in Deutschland nie ein Thema. Da stellt sich die Frage: Was steckt dahinter? Spielten medizinische und gesundheitliche Argumente oder vielmehr internationale politische Gründe eine Rolle? Hier eine kleine Geschichtsstunde zum Thema Cannabis-Prohibition in Deutschland:

Situation vor der Cannabis-Prohibition

Cannabis ist eine der ältesten – aber auch umstrittensten Pflanzen der Menschheitsgeschichte. Aufzeichnungen zufolge wurde bereits vor 12.000 Jahren Hanf in Persien und China als Getreide angebaut. Besonders begehrt war die Hanfpflanze aufgrund ihrer heilenden Kraft.

Cannabis wurde während des ersten Kreuzzugs (1096–1099) in die europäische Volksmedizin eingeführt. Sogar Königin Victoria von England soll im 15. Jahrhundert mit Cannabis die Symptome von postmenstruellen Problemen behandelt haben.

Fakt:
* Der erste in Deutschland schriftlich nachweisbare Hinweis auf die medizinische Wirkung von Cannabisprodukten befindet sich in der berühmten Schrift Hildegard von Bingens „Physica – Liber simplicis medicinae“ (ca. 1150–1160).* Die Cannabispflanze wird in diesem berühmten Werk mit vielseitigen, medizinisch wertvollen Eigenschaften dargestellt, unter anderem als schmerzstillend und verdauungsfördernd.

 
In Deutschland hatte Cannabis in den folgenden Jahrhunderten hauptsächlich eine Bedeutung in der Medizin. Die vielseitige Pflanze war hochgeschätzt und fester Bestandteil von Kräuterbüchern. Es diente zur effektiven Behandlung von Schmerzzuständen, Gelenkkrankheiten und einer Vielzahl anderer Beschwerden. Die Rolle des Rauschmittels war auch damals schon bekannt, aber eher im Hintergrund. Der Gedanke der Kriminalisierung war in weiter Ferne.

Der Höhepunkt erfuhr das Cannabis im 19. Jahrhundert – es wurde zu einem viel und breitbandig genutzten Medikament.

Zunehmend spielte aber auch die „Nebenwirkung“ des Medikaments Cannabis, nämlich das Erlangen eines Rauschzustandes eine zunehmende Bedeutung. Nach dem Vorbild Amerika katapultierte sich Cannabis Anfang des 20. Jahrhunderts zur „Szenendroge“, vor allem bei Musikern, aber auch in der gehobenen Gesellschaftsschicht der Geschäftsleute.

Trotz des zunehmenden Konsums außerhalb der Medizin war Kriminalisierung oder Verbot bis Ende des 19. Jahrhunderts kein Thema in Deutschland.

Die Vorstufe der Cannabis-Prohibition: Erste Einschränkungen 1872

Ein erster „Vorgeschmack“ der bevorstehenden Prohibition kam im Jahre 1872. Der damalige „Verein für Drogenpolitik“ konstituierte, dass der Konsum von Cannabis in Deutschland bis dato in Deutschland komplett unreguliert sei, das bedeutet: Kiffen zu Genusszwecken war völlig legal.

So entstand eine erste Verordnung, betreffend den Verkehr mit „Apothekerwaaren“, welche vom ersten deutschen Kaiser Wilhelm I. verabschiedet wurde. „Drogen und chemische Präparate“ – so übrigens der Originalwortlaut – durften per Verordnung ab sofort ausschließlich in Apotheken verkauft werden.

Teil dieses Gesetztes war der Indische Hanf (Herba Cannabis Indicae), eine Unterart der Cannabis-Pflanze. Diese wurde hauptsächlich von Ärzten als Medikament eingesetzt – aber auch als Genussmittel weit verbreitet.

Abgesehen davon, dass Cannabis ab diesem Zeitpunkt ausschließlich in Apotheken erhältlich war, galt der Konsum nicht als strafbar, Cannabis war deswegen nicht kriminalisiert. Dies ist der Unterschied zur derzeitigen Regelung für den medizinischen Konsum seit 2017.

Wachsender internationaler Druck – die Opiumkonferenzen

Das Cannabis-Verbot ist keine deutsche Erfindung. Vielmehr hat sich Deutschland den internationalen Gegebenheiten angepasst.

Am 1. Februar 1909 wurde die Internationale Opiumkommission in Schanghai ins Leben gerufen. Abgesehen von den treibenden Staaten USA und Großbritannien waren auch Deutschland und elf andere Länder in der Kommission vertreten. Anfangs ging es hauptsächlich um das Rauschmittel Opium. Cannabis spielte erst im Laufe der nächsten Jahre eine Rolle.

Bei der internationalen Opiumkonferenz 1911 bis 1912 war es Ziel der Kommission, auch den Handel von Hanf regulieren. Das Ergebnis: Am 23. Januar 1912 wurde der Beschluss gefasst, „die Frage des indischen Hanfs […] durch die inländische Gesetzgebung oder ein internationales Abkommen einzudämmen.“ Bei diesem Beschluss handelt es sich aber noch nicht um Prohibition, es war lediglich eine Absichtserklärung.

Bei der nächsten Opiumkonferenz 1924 bis 1925 in Genf war der ägyptische Delegationsleiter El Guindy federführend bei dem Antrag auf ein Verbot von Cannabis. Bei der Abstimmung war Deutschland nicht im Cannabisunterausschuss vertreten.

Gegenstimmen kamen nur von Großbritannien, Niederlande und Indien. In Deutschland spielte der Cannabis-Konsum im internationalen Vergleich zu diesem Zeitpunkt eine untergeordnete Rolle, so wurden gesundheitliche Risiken wenig diskutiert.

Diese am 19. Februar 1925 stattfindende Abstimmung der internationalen Opiumkommission legte den Grundstein der weltweiten Cannabisprohibition.

Als „Indischer Hanf“ bezeichnet wird die „getrocknete Spitze der blühenden oder fruchttragenden weiblichen Stauden der Cannabis“ in das „Internationale Abkommen über die Betäubungsmittel“ aufgenommen.

Exkurs: Welche Rolle spielte Harry Anslinger bei der Cannabis-Prohibition?

Wer sich mit der internationalen Cannabisprohibition beschäftigt, stößt unweigerlich auf den Namen Harry Anslinger. Er gilt als Drahtzieher der weltweiten Prohibition von Cannabis. Warum wurde dieser Mann zum Inbegriff der weltweiten Verteufelung einer harmlosen Kultur- und Heilpflanze?

1929 übernahm Anslinger das Ministerium für Prohibition in Washington. Die Prohibition von Alkohol war ein Desaster, der Schwarzmarkt boomte, die Alkohol-Prohibition wurde gestoppt. Anslinger sah seine Felle davonschwimmen, er befürchtete, dass sein bisher wichtiges Ministerium in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohte.

Entgegen seiner bisherigen Ansicht widmete er sich fortan der Bekämpfung von Cannabis als gefährliche Droge – so hatte sein Ministerium wieder eine Daseinsberechtigung.

Anfangs scheiterte er an der mangelnden Unterstützung der American Medical Association. Anslinger begann nun, die Öffentlichkeit zu manipulieren und kreierte Horrorszenarien in Zusammenhang mit Cannabiskonsum in Propagandaaktionen und Filmen.

Als Mitglied der UN-Drogenkommission 1947 hatte er maßgeblich das weltweite Verbot des Cannabisanbaus forciert, welches letztendlich in Form des Abkommens über die Betäubungsmittel 1961 festgeschrieben wurde.

Funfact
– Als paradoxe Tatsache stellte sich heraus, dass Anslinger im selben Jahr der Cannabis Prohibition als Mitglied eines Geheimkomitees im Auftrag des OSS auf der Suche nach einer Wahrheitsdroge und an Experimenten mit diversen Drogen an ahnungslosen Probanden involviert war. Diese Tatsache wurde allerdings erst einige Jahre nach seinem Tod öffentlich bekannt.

Die Prohibition von Cannabis in Deutschland

Das Abkommen von 1925 setzt Deutschland zunehmend unter Druck. Die Regierung wird genötigt, Gesetze oder Vorschriften zu erlassen, um Anbau, Einfuhr, Verkauf, Ausfuhr und Konsum der im Vertrag erwähnten Drogen ausschließlich auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken.

Vier Jahre später – am 10. Dezember 1929, verabschiedet der deutsche Reichstag das „Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Opiumgesetz)“.

  • Dieses Gesetz stellt quasi der Vorgänger des heutigen Betäubungsmittelgesetzes dar.
  • Hierbei wird Cannabis – im Wortlaut als Indisches Hanf bezeichnet – erstmalig in der deutschen Geschichte als strafbar erwähnt. Dieser Tag gilt als Beginn der Kriminalisierung des Cannabis.

Interessanter Aspekt: In Anbetracht dieses Verlaufes sehen Cannabisbefürworter den wahren Grund für die Cannabis-Prohibition in Deutschland in einer Art Gruppenzwang bzw. Mitläufertum. Mit der Entscheidung von 1929 hat die Regierung den Weg des geringsten Widerstandes beschritten und ist internationalen Entscheidungen gefolgt. Gesundheitliche oder medizinische Aspekte spielten dabei eher keine wirkliche Rolle.

In Apotheken durfte Cannabis allerdings zu diesem Zeitpunkt für den medizinischen Gebrauch noch erworben werden.

Wie es weiterging – Verschärfung der Gesetze

Nachdem vorerst der medizinische Gebrauch von Cannabis noch möglich war, wurde der Druck für eine komplette Cannabis-Prohibition immer größer. Der internationale Wind wehte auch hier aus den USA. So war es eine Frage der Zeit, bis sich die Prohibitionspolitik der Weltmacht international verbreitete. Und so kam es, wie es kommen musste:

Das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel vom 30. März 1961

Dieses Abkommen ist ein internationaler Vertrag, welcher von den Staaten der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde. Er vereinte alle bisher bestehenden nationalen Verträge über Betäubungsmittel.

Cannabis wurde hierbei als Droge der Kategorie 4 gelistet. Im Klartext: Cannabis wird auf eine Stufe mit Heroin gestellt. Kategorie 4 bedeutet “besonders gefährliche Droge, mit einer geringen oder keiner therapeutischen Wirkung”.

Jede Art der Verwendung dieser Drogen als Genussmittel ist strafbar. Der medizinische Gebrauch auf wenige Ausnahmen beschränkt. Cannabis wurde ohne fundierte wissenschaftliche Belege als außerordentlich süchtig machende Droge eingestuft.

Einführung des BtMG 1971

Am 22. Dezember 1971 wurde vom Gesetzgeber (Bundesrat und Bundestag) das bisher bestehende Opiumgesetz in ein bis heute geltendes Betäubungsmittelgesetz (BtMG) umbenannt.

Im Gegenteil zum internationalen Opiumgesetz ist es ein rein deutsches Gesetz.

Speziell Cannabis wird nun explizit in das Gesetz aufgenommen und in allen Bereichen vollständig verboten und unter Strafe gesetzt.

Für den konsumierenden Teil der Bevölkerung bedeutete dies – während der immer noch anhaltenden Hippie-Bewegung – den Höhepunkt der Cannabis-Prohibition. Der Katalog der Tatbestände bei Widerhandlung ist lang, die Strafen hoch.

Cannabis-Beschluss 1994

Am 9. März 1994 verabschiedete das Bundesverfassungsgerichts den sogenannten Cannabis-Beschluss.

Dieser beinhaltet, dass bei geringfügigen Verstößen gegen das BtMG durch die Einfuhr, den Erwerb oder den Besitz von geringen Mengen Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden eine bereits laufende Strafverfolgung eingestellt werden kann, festgelegt in § 31a BtMG.

Dieser Beschluss ist bis heute Ländersache und wird in den jeweiligen Bundesländern stark unterschiedlich ausgelegt. Die Definition „geringe Menge“ schwankt zwischen 5 und 15 Gramm.

Langsames Comeback: Cannabis auf Rezept

Seit 2017 ist Cannabis für schwerkranke Personen als Medizin verschreibbarEin kleines Licht am Horizont ist die Änderung des Cannabisgesetztes durch die Bundesregierung Anfang 2017. Am 10. März 2017 wurde der Beschluss gefasst, dass schwerkranke Personen Cannabis auf Rezept bekommen können.

Analog zur Gesetzeslage im Jahr 1872 ist der Erwerb von Cannabis nach der Verschreibung durch einen Arzt in einer Apotheke nun legal möglich.

Das Gesetz regelt die Rezeptur von Cannabisarzneimitteln als Therapiealternative und ergänzende Behandlung für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen.

Voraussetzung ist, dass nach dem Gutachten des behandelnden Arztes diese Mittel den Krankheitsverlauf spürbar positiv beeinflussen oder dessen Symptome nachweislich lindern.

Beispiele hierfür sind die Schmerztherapie, chronische Erkrankungen wie MS oder Arthrose, aber auch Begleiterscheinungen wie Appetitlosigkeit während einer Chemotherapie. Auch in der Palliativmedizin wird Cannabis vermehrt eingesetzt und erleichtert sterbenden Menschen unerträgliche Schmerzen.

Viele Naturwissenschaftler und Cannabisbefürworter sehen diese Entwicklung als Schritt in die richtige Richtung. Durch dieses Gesetz werden erstmals wieder die Heilkräfte der vielseitigen Heilpflanze in den Fokus gesetzt.

Ende der Cannabis-Prohibition in Sicht: Legalisierungsplan 2021

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist die legale Abgabe von Cannabis in lizensierten Cannabis-Shops vorgesehenEndlich scheint das lang ersehnte Ende der Cannabis-Prohibition am Horizont. Im Koalitionsvertrag vom 24.11.2021 festgeschrieben soll der Verkauf von Cannabis auch zu Genusszwecken an Erwachsene legalisiert werden.

Der Verkauf soll vorerst ausschließlich durch lizenzierte Cannabisshops erfolgen. Der Anbau von Hanfpflanzen sowie der private Handel von Cannabisprodukten bleibt weiterhin strafbar.

Gleichzeitig wollen die Parteien die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis verschärfen, um unkontrollierten Missbrauch einzuschränken.

Aktuell (Stand 12/2021) ist noch nicht absehbar, wann – aber sicher, dass die Legalisierung gesetzlich verankert und zeitnah umgesetzt wird.

Bei derzeit jährlich über 50.000 Todesfällen in Deutschland durch legalen Alkoholkonsum im Gegensatz zu keinem einzigen nachgewiesenen Todesfall durch Cannabis ist dies unangefochten eine positive Entwicklung.
„Herb is the healing of a nation, alcohol is the destruction“
Bob Marley
1945-1981